Historischer ‚Viehmarkt‘ in Marktschellenberg? Rote Karte!!!
Am gestrigen Sonntag hatte die wunderschöne Tourismusgemeinde Marktschellenberg im Berchtesgadener Land, Oberbayern, einmal mehr zum ‚Historischen Kirtag‘ aufgerufen; das Motto der Veranstaltung lautete wie jedes Jahr ‚a Kirtag wia anno dazumal‘.
Allfällige preußische BesucherInnen wurden dabei mit jeglichem Klischee der Fremdenverkehrswerbung ausreichend bedient, ja geradezu überhäuft – Lederhosen und Dirndln beherrschten die Szenerie, Haferlschuhe, Wadenstrümpfe und Gamsbarthut gehörten da ebenso zum Pflichtprogramm wie Blasmusik, Brezel und Weißbier.
An den zahlreichen Ständen wurde Kunsthandwerk angeboten – vor den Augen der Gäste sollten Handwerker in Berufstracht ihr Können zeigen – sowie allerlei selbstgemachte Spezialitäten aus Großmutter’s Zeiten. Wer beim Essensangebot Lust auf Pommes hatte, war jedenfalls völlig fehl am Platz und wahrscheinlich hätte sich gar niemand so einen ‚außergewöhnlichen Wunsch‘ überhaupt nur auszusprechen getraut! 🙂
So weit, so gut. Tradition trifft Moderne, Brauchtumskultur in geradezu uriger Form. Eine liebevoll gestaltete Ausstellung alter Traktoren sowie anderer Oldtimer-Fahrzeuge verlieh dem Ganzen einen würdigen Rahmen. Und, oh ja, auch ein Kapserltheater gab es, und obwohl dort nur Puppen, nicht einmal animierte sondern ’nur‘ echte aus Holz, mit Fäden bewegt, auftraten, schauten die Kinderscharen – die meisten der Kleinen ebenfalls in wunderschöne Trachten gekleidet – den verschiedenen Vorstellungen begeistert zu. Schön, dass es derartiges, auch wenn es manche vielleicht als kitschig empfinden, überhaupt noch gibt.
Die Gemeinde Marktschellenberg hätte uns fast von der typisch bayerischen Gemütlichkeit überzeugt. Tradition und Brauchtum als sehr schöne Werte sollten möglichst hochgehalten werden – zumindest in einigen Bereichen. Der Grund unseres Hierherkommens war aber nicht der Festlichkeit selbst geschuldet, sondern vielmehr dem Zusatz auf den Werbeplakaten: da stand in dicken Lettern ‚Viehmarkt‘ geschrieben! Die längst überholte Wortwahl, sie hatte uns dann stutzig gemacht!
Tja, und wir sollten leider nicht ‚enttäuscht‘ werden, was wir im gegebenen Falle mit großer Freude quittiert hätten. Tatsächlich, Marktschellenberg blieb seinem angekündigten Motto treu, wie anno dazumal werden Tiere als bloße Objekte betrachtet zur Schau gestellt. Wie anno dazumal sind sie den Besuchermassen hilflos ausgeliefert, entweder in engen Käfigen gesperrt oder, wie zwei Kühe, in Anbindehaltung am Platz fixiert. Aber dazu kommen wir später nochmals.
Wenden wir uns zuerst den Kleintieren zu; Ziegen und Schafen scheint es besser zu ergehen, sie sind wenigstens in Pferchen gehalten. Allerdings sind die Holzverschläge dann von vier Seiten zugänglich, und so wissen die gestressten Tiere bald nicht mehr in welche Richtung sie dem Lärm und den andauernden Versuchen, sie zu berühren, entweichen sollen. Die Armen drängen sich daher, bald fast orientierungslos anmutend, von einer Ecke in die andere, als Flucht- und Herdentiere die sie nun mal sind offensichtlich schwer gestresst. Eine verstärkte Atmung sowie hektische Bewegungen deuten ebenfalls auf diesen Schluss hin. Zudem wurde im Gehege auf Wasser vergessen, kein dafür vorgesehenes Behältnis steht zur Verfügung, genauso wenig wie eine Rückzugsmöglichkeit oder eine Beschattung – trotz starker und direkter Sonneneinstrahlung bei nahezu hochsommerlichen Temperaturen.
Ein Freigehege für Kaninchen wurde errichtet, ebenfalls ohne (zumindest für uns und dann wohl auch für alle anderen BesucherInnen ersichtlichem) Wasserbehältnis. Als Versteckmöglichkeit dienen den Nagern kleine Häuschen, welche jenen der Städte nachgebildet sind; es gibt eine Kirche, eine Gaststätte, etc.; die Unterkünfte sind aber extrem klein bemessen, so sieht der/die BetrachterIn nur deren Ohren oder Beine, während der Rest des Körpers irgendwie versucht, im Inneren möglichst unauffällig der Sonne und den allzu neugierigen Menschenmassen zu entschwinden. Für eine artgerechte Unterbringung sorgen sie jedenfalls nicht, was dann vielleicht sogar so bezweckt wurde: ansonsten hätten sich die Süßen wohl einfach den Blicken der vielen, vielen Menschen sowie den andauernden Versuchen, sie mit den Händen anzufassen, entzogen und einen leer anmutenden Gitterverbau zurückgelassen.
Ein kleines Gehege für Wachteln gibt es zudem; aber auch hier haben es die winzigen Hühnervögel vorgezogen in den kleinen Häuschen zu verschwinden, sodass man sie nur bei ganz genauer Betrachtung erkennen kann. Als zitternde Häufchen Elend, verkrochen unter Stroh. Warum die Armen dann überhaupt ausgestellt sind – warum verzichtet man nicht auf derartig für die Tiere Quälendes, nun, im dritten Jahrtausend? Selbstredend, weil ‚wir alle‘, um in neuer deutscher Sprache einer auflagenstarken germanischen Wochenzeitung zu bleiben (zumindest jene, welche Tieren noch immer nicht ein Recht auf Unversehrtheit – körperlicher wie geistiger – zugestehen) ‚Kirtag wia anno dazumal sind‘….
Die großen Verwandten der Wachteln, Hahn und Huhn, sind in enge Gitterverschläge gesperrt. Wasser? Auch hier Fehlanzeige! Noch dazu sind die Boxen dann einfach auf das Gras gestellt, was für die Hühner zu höchst unangenehmen Situationen führt, nämlich wenn ständig ‚von oben‘ Schatten auf sie fallen; warum kann man die Vögel nicht wenigstens auf einem Niveau zeigen, wo sie den Menschen in Augenhöhe gegenübergestellt sind?
Das scheinbar unvermeidliche Ponyreiten wird ferner angeboten, die Pferdchen müssen dabei Trensen mit eisernem Gebiss ertragen. Auch so etwas ist längst überholt, war aber ohne Frage ‚anno dazumal‘ gang und gäbe; vielleicht ist man der Vergangenheit dann doch zu sehr verhaftet? Mag sein, zumindest wenn es ‚bloß‘ um Tiere geht, denn alleine ein Blick auf die Parkplätze genügt um zu beweisen, dass, wenn menschliche Bedürfnisse und Annehmlichkeiten vordergründig sind, sehr wohl die Zukunft längst Einzug gehalten hat. Auch in Marktschellenburg.
Jetzt kommt das eigentlich Unfassbare: da stehen doch tatsächlich auf einem Tisch zwei Käfige; ein länglicher, unterteilt in drei ‚Abteile‘, darauf ein winziger. Im unteren Verschlag sind verschiedene wunderschöne Tauben gesperrt, ständig im Versuch, den tausenden Blicken irgendwie auszuweichen; aber wohin? Auf einer Fläche, welche von allen Seiten von Gittern begrenzt ist, noch dazu nicht größer als höchstens ein Din-A4-Blatt, bleibt ‚Ausweichen‘ nur ein unerreichbarer Wunschgedanke. Noch dazu, wo man selbst dieses minimale Platzangebot dann mit einem oder gar zweien LeidensgenossInnen zu teilen hat…
Während den Tieren im größeren – aber geteilten – Käfig wenigstens noch eine Wasserschüssel gegönnt ist, findet man eine solche im oberen nicht. Wie gesagt, auch hier, trotz direkter, heftiger Sonneneinstrahlung. Zwei weiße Tauben finden sich im nicht einmal schuhschachtelgroßen Gefängnis wieder, ihresgleichen sind doch eigentlich die Symbole des Friedens! Betrachtet man die beiden Tiere in ihrer schrecklichen Lage, versinnbildlicht sich der Symbolwert aber plötzlich, und dann muss man dem Halter zugestehen: er hat Sinn für ein gelungenes Gleichnis. Denn genauso ist es um den Frieden der Welt bestellt: eingesperrt, der Wille gebrochen, im Gitterkäfig hoffnungslos gefangen; ein Wort als eine leere Worthülse…
Beabsichtigt hat er das Sinnbild so aber höchstwahrscheinlich nicht; denn eigentlich – verraten ebenfalls Visitenkarten, denn der Tier’besitzer‘ selbst ist für uns nicht erkennbar anwesend – kann man die Tauben mieten. Zum Beispiel für die Hochzeit, wo sie dann neben dem küssenden Brautpaar aus ihrem Käfig entlassen werden (da sind wir dennoch wieder beim Sinnbild, die einen werden entlassen, die anderen kommen hinein! Aber leider ist die Situation eine viel zu traurige, um an dieser Stelle auch noch einen Scherz zu machen…).
Un- un- unfassbar, diese völlige Missachtung jeglichen Zugeständnisses eines Wertes des Lebens für das Mitgeschöpf! Wir glauben uns doch den Zwängen der Barbarei längst entglitten, fehlgedacht! Willkommen in der Realität, ‚wia anno dazumal‘ halt!
Noch einmal besonders traurig hat uns dann das Schicksal zweier für die Milchmarke ‚Berchtesgadener Land‘ ausgestellter Kühe gemacht. Beide an einem Barren festgezurrt, ohne Wasser (ein Kübel stand nebenbei, war aber unerreichbar für die Tiere und zumindest solange wir dort waren, hat auch niemand sonst außer uns den Armen davon gereicht), ohne Sonnenschutz, ohne Rückzugsmöglichkeit. Hunderte Hände, die sie betatschen wollen. Ebenso viele Selfies werden mit den Schönen gemacht, deren Fell (so nehmen wir jedenfalls an, weil ein Kübel mit entsprechender Flüssigkeit nebenan stand) wohl immer wieder mit einer Wasser-Spülmittellösung eingerieben wird, damit es nur ja schön glänzt. Dass der Glanz in den Augen längst erloschen ist, tut der Sache keinen Abbruch. Nicht im Geringsten. Tarnen und Täuschen ist eben alles! Furchtbar, wie die beiden Tiere – ein Namensschild verrät, die Kuh gibt über 7 000 Liter Milch jährlich – andauernd versuchen sich loszureißen. Mit rollenden Augen, welche ein Übermaß an Stresshormonen verkünden; ein ständiges Klagen, Brüllen im Halbminutentakt, ein ununterbrochenes Wippen mit dem Kopf, all das deutet auf eine völlige psychische Überlastung hin. Reaktion? Noch ein Selfie…
Ach ja, und um ‚anno dazumal‘ abzurunden, wurden dann auch noch zum ‚Saustechen‘ geladen. Natürlich, dabei handelte es sich um eine harmlose Form, ein Bild eines Schweines war auf einer Zielscheibe montiert, und mit verbundenen Augen musste man mit einer Art Lanze den Mittelpunkt dieser so genau als möglich treffen. Eine arglose Gaudi, mögen die einen meinen. Aber, so die immer mehr werdenden anderen, ist ein solcher Wortgebrauch nun nicht nur nicht mehr zeitgemäß, er ist im Gegenteil grausam, zynisch, ja geradezu abartig und gewaltverherrlichend.
Raten Sie mal, was dann als 1. Preis im ‚Stechen‘ gewonnen werden konnte? Ein lebendes Schwein natürlich, halt wie anno dazumal (alle anderen Trostpreise beinhalteten zumindest Teile dessen, wie Fleisch für den Schweinebraten, Leoner-Würstel oder Speck) …
Der uns zur Recherche begleitente hoch engagierte Biologe Mag. Andreas Hagn fasste die Umstände übrigens folgendermaßen zusammen: ‚Rückzugsmöglichkeiten, Sichtschutz, Sonnenschutz, Wasser – und Futter sollten den teilweise sehr scheuen Tieren gerade in einer belastenden Situation – wie einem Viehmarkt- zur Verfügung stehen. Die Geräuschkulisse, der direkte Kontakt zu vielen Menschen, die Enge der Käfige und die Ausgesetztheit und der Wassermangel waren nur einige der augenscheinlichsten Stressoren.‚
Es ist eigentlich furchtbar schade, dass eine im Prinzip durch und durch positive Veranstaltung, mit derartigem Charme versehen, sämtliche Ausstrahlung durch die aufgezeigten Mängel an Empathie für das Mitgeschöpf einbüßt. ‚Wia anno dazumal‘ mag in gewissen Bereichen Reiz versprühen, ja, berechtigterweise sogar Besuchermassen anlocken; aber durchgehend ist das Motto wohl nicht anzuwenden, wörtlich auszulegen – auf keinen Fall dann, wenn es um Mitgeschöpfe geht, Mitgeschöpfe, welche im selben Maße wie wir Angst und Schmerzen fühlen, Kummer erleiden. Für eine solche Erkenntnis hat es zwei volle Jahrtausende gebraucht, zu unserer großen Schande, und langsam sollte sich diese Einsicht wohl auch bis in die tieferen ländlichen Regionen und dort zu den traditions- und brauchtumsliebenden Veranstaltungen und vor allem VeranstalterInnen, herumgesprochen haben!
Ganz in diesem Sinne, Kirtag in Marktschellenburg, wir sehen uns 2019 wieder. Dann hoffentlich wurden aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, und wenn so, wir werden natürlich wieder – dann in lobender Art und Weise- berichten. Was wir auch tun, selbstredend nicht lobend, wenn dem Gesagten kein Gehör zukommt – was wir aber nicht glauben möchten. Denn, wie gesagt, es wäre furchtbar schade, wenn eine solche Zusammenkunft viel mehr wegen des fehlenden Mitgefühls Tieren gegenüber in Erinnerung bleiben würde, denn als einzigartig bayerisches Wohlfühlfest! Liebe VeranstalterInnen, es liegt an Ihnen!